25.07.2009: Horst Stowasser

Diagnose: KAPITALISMUS. Therapie: ANARCHIE? Vom Krankheitsbild eines absurden Wirtschaftssystems und der Aktualität einer anarchistischen Alternative
Referent: Horst Stowasser (Autor des Buches „ANARCHIE! Idee Geschichte Perspektiven“)

Samstag, 25. Juli 2009, 19.00 Uhr
Weltmöbel-Laden, Rheinallee 79-81, Mainz

Horst_StowasserDie Krise das ist nicht das, was wir derzeit in der Finanzwelt erleben. Die Krise ist in Wirklichkeit permanent vorhanden auch wenn es der Wirtschaft gut geht. Denn genau besehen ist das wirtschaftliche System, in dem wir leben, vollkommen absurd. Die irren Kapriolen, die es derzeit schlägt, sind daher auch nicht auf irgendwelche durchgeknallten Finanzjunkies zurückzuführen, sondern logische Folge eines durch und durch kranken Wertemodells.
Wieso muss unsere Wirtschaft eigentlich jedes Jahr wachsen, um „gesund“ zu sein? Weshalb vergeuden wir zwei Drittel unserer Arbeit und unserer Ressourcen in völlig unnützen Leistungen? Warum müssen immer mehr Menschen sich bis zum Umfallen kaputt arbeiten, während andere gar nicht arbeiten dürfen? Und wieso, um alles in der Welt, definieren wir Leben, Glück, Fortschritt, Zukunft und letztlich sogar unsere Daseinsberechtigung als Mensch! über so etwas archaisches wie das Ableisten von bezahlter Arbeit? Wo doch jeder Volkswirtschafts-Student im vierten Semester weiß, dass die gesamte Menschheit mit drei, vier Stunden täglicher Arbeitszeit prima leben könnte.
Kritik am Kapitalismus ist wohlfeil und derzeit an jeder Ecke billig zu haben. Woran es aber mangelt, sind praktikable Alternativen, mutige Visionen und konkrete Modelle zum Anfassen.
Deshalb wird der Sachbuchautor und praktizierende Anarchist Horst Stowasser an diesem Abend nicht bei der bloßen Kritik stehen bleiben, sondern konstruktive Perspektiven aufzeigen und der Frage nachgehen, wie realistisch andere Arbeits-, Wirtschafts- und Wertemodelle sind. In einer lockeren Mischung aus Lesung und Plauderei entführt er uns auf eine packende Reise durch Ideen, Experimente und Zukunftsprojektionen. Der schwarz-rote Faden der Veranstaltung wird dabei stets der Frage folgen, ob all diese Ideen bloß schöne Wunschträume sind, Hirngespinste und naive Utopien oder ob nicht die Utopie von heute vielleicht schon der Embryo für die Realität von morgen ist.

Mitveranstalter: attac Mainz, Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Mainz
Unterstützt wird diese Veranstaltung von der Hochschulgruppe diskursiv

Flyer zum Download (pdf): Flyer Stowasser [65 KB]

Publiziert als Heft 10 in der Reihe „Linkswärts. Mainzer Hefte für eine linke Politik“

Radioübertragung des Mainzer Vortrags online
Am 25. Juli 2009 referierte Horst Stowasser in Mainz bei einer Veranstaltung von Linkswärts, DFG-VK und attac zum Thema Diagnose: Kapitalismus. Therapie: Anarchie?
Horst Stowasser ist am 30. August 2009 gestorben, also gut einen Monat nach seinem Vortrag in Mainz.
In Gedenken an Horst Stowasser, vermutlich der bekannteste Anarchist Deutschlands, hat die Autorin der Sendung darauf verzichtet, eine „klassische“ Radiosendung daraus zu machen, sondern nur gravierende Sprechfehler und an manchen Stellen auch die eine oder andere Anekdote herausgeschnitten.
Der Vortrag ist jetzt in zwei Teilen beim Bund freier Radios zu hören.
Teil 1:
http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=30451
Teil 2: http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=30453
Beide Teile dauern knapp eine Stunde und haben nur eine kurze An- und Abmoderation.

Kontakt: info@linkswaerts.de oder 0179 117 89 87

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Das Projekt Eilhardshof

In Neustadt an der Weinstraße, von wo Horst Stowasser zu uns nach Mainz kam, ist das Projekt Eilhardshof als generationsübergreifendes Wohnprojekt eingerichtet worden. Es ist ein Ort für Kultur, Kommunikation und soziales Engagement. Dieses praktische Beispiel lebendiger Solidarität und gegenseitiger Hilfe dient uns sowohl als Illustration der gelungenen Umsetzung anarchischer Strukturen inmitten des Kapitalismus als auch ganz pragmatisch als Vorbild für ein ähnlich gelagertes Projekt in Mainz.

Der Link zum Projekt Eilhardshof (war: www.eilhardshof.de) wurde desaktiviert, da die Online-Repräsentanz nicht mehr gepflegt wird.

Auf der Homepage erfahrt Ihr alles zum jeden Freitag ab 10 Uhr auf dem Eilhardshof stattfindenden Arbeitseinsatz, im Rahmen dessen kleine oder größere Hilfsarbeiten erledigt werden. Große und kleine, junge und alte, starke und schwache Menschen können sich hier einbringen – vom Steineschleppen übers Essenkochen bis hin zur Kinderbetreuung. Das Mittagessen wird gemeinsam eingenommen und wer danach noch Zeit hat, kann so lange arbeiten wie er mag. Passende Arbeitskleidung ist obligatorisch. Damit der Eilhardshof die Arbeit und das Essen planen kann, wird um Anmeldung bis zum vorherigen Mittwoch Abend gebeten!

Dort findet Ihr auch die Termine der „Freundeskreis“-Treffen, die jeden Monat stattfinden, zu dem alle Freunde des Projekts Eilhardshof, Förderer, Sympathisanten und solche die es vielleicht werden wollen, eingeladen sind.

Das Modell

Vorbild und Förderer des Projekts Eilhardshof wiederum ist das Mietshäuser Syndikat in Freiburg. Hier werden generationsübergreifende Wohnprojekte beraten, mit Finanzierungsplänen ausgestattet und in das System der Direktkredite integriert, um ihr Projekt umzusetzen zu können: Lieber 1000 FreundInnen im Rücken als eine Bank im Nacken!

 

 

Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat

Was ist kommunistischer Anarchismus?

von Erich Mühsam

Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat ist das programmatische Hauptwerk Erich Mühsams und die letzte Veröffentlichung vor seiner Verhaftung durch die SA am 28. Februar 1933. Das Werk erschien zunächst in drei Fortsetzungen in der Zeitschrift:

Die Internationale. Zeitschrift für die revolutionäre Arbeiterbewegung, Gesellschaftskritik und sozialistischen Neuaufbau. Herausgegeben von der Freien Arbeiter-Union Deutschlands, Anarcho-Syndikalisten. Berlin. Jg. 5. Heft 6 (Juni 1932), Heft 7 (Juli 1932) und Heft 8 (August 1932).

Im folgenden Jahr wurde ein Sonderheft als Einzelveröffentlichung im „Fanal-Verlag Erich Mühsam“ gedruckt. Dieser Text wird von Wikisource wiedergegeben.

Vorwort

Im Juli 1931 verbot der Berliner Polizeipräsident, der Sozialdemokrat Grzesinski, die anarchistische Zeitschrift „Fanal“ auf die Dauer von vier Monaten. Das war der Monat der Bankzusammenbrüche; das Finanzkapital war am Ende seiner Künste, die Reichsregierung stoppte den Geldumlauf ab, die gesamte Unternehmerwirtschaft wurde in einem Maße erschüttert, daß die bisher gebräuchlichen politischen Methoden zur Sicherung der kapitalistischen Herrschaft nicht mehr ausreichten; der Weg zur faschistischen Diktatur wurde verbreitert, ausgewalzt und beschritten. Das Massenelend wuchs, mit ihm die Hilflosigkeit der öffentlichen Ämter, und zugleich wuchsen die Ansprüche der Industriellen und Großgrundbesitzer; die Krise wurde mit verschärftem Druck auf die Arbeiter und Erwerbslosen bekämpft, ihre Opfer mit Wahlen, Wahlen und Wahlen beschwichtigt. Die Parteien suchten im Schaden ihrer Anhänger den Nutzen ihrer Führerschaften. Eine neue Regierung, zusammengeholt aus der Erbmasse verkrachter Feudalzeiten, führte Verfassungsstreitigkeiten herauf, die Luft des Bürgerkrieges legte sich drohend auf Deutschland; alle Versuche, Druck und Verzweiflung zu bannen, alle Heilmittel, von Faschisten und Demokraten, Kirchlichen und Rechts- wie Linkssozialisten beschwörend empfohlen, kamen aus der Apotheke der Autorität. Jeder pries seinen Staat, seine Berufung zur Macht, sein autoritäres System.

Der Kampf der anarchistischen Monatsschrift „Fanal“ aber gegen Zentralismus und Obrigkeit, für Freiheit und Erneuerung war unterbrochen. Nur gelegentliche Rundbriefe konnten die Freunde des Blattes verständigen, daß der Schlag, der es nach fast fünf Jahren regelmäßigen Erscheinens getroffen hatte, zwar noch nicht verwunden war, aber doch nicht tödlich gewirkt hatte. In allen diesen Rundschreiben konnte nur flüchtig auf die allgemeine Lage geblickt werden. Im übrigen waren es Bettelbriefe, um die Mittel herbeizuschaffen, die nötig waren, um den Schlafenden nicht sterben zu lassen. Als Beweis dafür jedoch, daß wir „Fanal“ niemals preisgegeben haben und nicht preisgeben wollen, kündigten die Briefe das Erscheinen der Broschüre an, die den Ausfall der Zeitschrift teilweise ausgleichen sollte und die hiermit der Öffentlichkeit übergeben sei.

Die Schrift erscheint als Sonderheft des „Fanal“, um das Fortbestehen unsres Blattes zu bekunden; sie erhält zugleich den Zuschnitt einer selbständigen Werbeschrift, um ihr über den Kreis der Leser und Freunde des „Fanal“ hinaus Verbreitung zu schaffen. Eine Arbeit, die als Ersatz nur eine am Erscheinen verhinderte, dem Tagesgeschehen angepaßte Zeitschrift den Augenblick überdauern möchte, kann sich nur mit der Welt- und Lebensanschauung befassen, welche den Geist der Zeitschrift bestimmt hat und weiter bestimmen soll. Dem Anarchisten war also die Aufgabe gestellt, die Grundzüge seines anarchistischen Lehrgebäudes zu entwerfen. Das habe ich versucht.

Immer wieder hören wir die Frage von Personen, denen die Gedankenwelt des Anarchismus nicht vertraut ist: Was wollt ihr eigentlich? Wie stellt ihr euch eine Gesellschaft ohne Staat und Obrigkeit vor? Liegt nicht in der Bezeichnung „Kommunistischer Anarchismus“ ein innerer Widerspruch? Darauf wollte ich einigermaßen umfassend und in nicht schwer verständlicher Form kurzen Bescheid geben. Den eigenen Genossen wollte ich gleichzeitig ein Bild der anarchistischen Gedankenwelt zeichnen, das jeder nach seiner Neigung ergänzen oder einschränken mag und an dessen Linien er seine Ansichten überprüfen und befestigen kann.

Auf geschichtliche Beweisführung und wissenschaftliche Unterbauung der hier vorgetragenen Gedanken habe ich verzichtet, auch davon abgesehen, ältere anarchistische Schriften zur Stützung und Vergleichung meiner Meinung heranzuziehen. Kein Gedanke wird dadurch richtiger, daß schon ein andrer ihn früher geäußert hat. Auch glaube ich, daß es der Lebendigkeit meiner Beweisführung am zuträglichsten ist, wenn ich sie ausschließlich in meine eigenen Worte fasse. Daher findet sich in der vorliegenden Arbeit kein einziges Zitat, außer dem an die Spitze gestellten Satz Wielands, der, vor 150 Jahren geschrieben, beweisen soll, wie natürlich den besten Geistern aller Zeiten anarchistische Gedankengänge sind.

Wer sich mit den Lehren des Anarchismus schon beschäftigt hat, wird neue Einsichten in dieser Broschüre kaum finden. Höchstens die bisher noch nirgends versuchte Darstellung des Rätewesens als Erfüllung anarchistischer Verwaltungsgrundsätze werde ich als selbständigen Beitrag zur Ideenwelt des freiheitlichen Sozialismus für mich in Anspruch nehmen dürfen. Im übrigen kam es mir auf die übersichtliche Zusammenfassung und die Verdeutlichung der folgerichtigen Einheitlichkeit des ganzen anarchistischen Gedankengebäudes an. Die außerordentlich reiche Literatur des Anarchismus ist eine solche übersichtliche Schrift bisher schuldig geblieben. Sie behandelt jedoch in überaus mannigfaltiger Weise die geschichtlichen, philosophischen, wirtschaftlichen, naturrechtlichen und kämpferischen Sonderfragen unter dem Gesichtspunkt autoritätsfeindlichen Denkens. Die Leser, die sich näher unterrichten wollen, seien daher eindringlich auf die im Anhang dieses Heftes zusammengestellte Literatur-Übersicht verwiesen.

Berlin-Britz, im November 1932.

Erich Mühsam

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