21.06.2008: Mohssen Massarrat

Klimaschutz braucht eine neue Philosophie
Referent: Prof. Dr. Mohssen Massarrat (FB Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück)

Samstag, 21. Juni 2008, 18.00 Uhr
Institut für Vor- und Frühgeschichte im Schönborner Hof, Schillerstraße 11, 55116 Mainz (Haltestelle Schillerplatz)
Veranstaltung von Linkswärts im Rahmen der Aktionswoche des Bündnisses gegen das Sterben an den EU-Außengrenzen

massarratFast jeden Monat melden sich Forscher mit neuen alarmierenden Berichten über den Klimawandel zu Wort. Das Verschmelzen der Eisdecke auf Grönland und an der Westküste der Antarktis sowie die Schrumpfung der Gletschermassen im Himalaya gehen schneller voran als bisher angenommen. Hinzu kommen die fortschreitende Verwüstung des Amazonasgebietes und die rasche Bildung von gashaltigen Wolken über Indien, die die existenziell notwendigen Monsunregen beeinträchtigen. Auch viele andere die Klimakatastrophe verschärfende Einzelerscheinungen mit ihren teils schwer erforschbaren Rückkoppelungen hätten allesamt für die Menschheit dramatische Auswirkungen, wenn die Erdtemperatur weiter ansteigen und irgendwann irreversible Dynamiken auslösen würde.
Dem gegenüber sind die wirtschaftspolitischen Instrumente Ökosteuer und Zertifikathandel völlig überholt. Das Fehlen einer radikalen Klimaschutzpolitik ist auch die Ursache dafür, dass die Stromkonzerne an vielen Orten, und auch in Osnabrück die Stadtwerke, munter weiter in Kohlekraftwerke investieren anstatt die Rahmenbedingungen für die Energieeffizienzsteigerung und den zügigen Ausbau erneuerbarer Energietechnologien voranzutreiben.
Es ist an der Zeit, zu diesem Zweck nationale und globale Allianzen zu bilden, um das Übel an der Wurzel zu packen und die Produktion von fossilen Energien im Rahmen eines win-win-Modells national, global und sukzessive in den nächsten Dekaden zu drosseln. Nur durch diesen Steuerungsmechanismus kann die Energieeffizienz wirkungsvoll gesteigert und der rasche Ausbau von erneuerbaren Energietechnologien mit geringem volkswirtschaftlichen Aufwand durchgesetzt werden.
Massarrat stellt seine Klimaschutzstrategie, die er seit über fünfzehn Jahren formuliert und verfeinert hat, zur Diskussion. Die Realität hat jedenfalls seine Kritik an Ökosteuer und Zertifikatshandel voll bestätigt.

Mitveranstalter: attac Mainz, Flüchtlingsrat Mainz, Klimacampgruppe Mainz/Wiesbaden, Antifa Nierstein

Unterstützt durch: Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Mainz, Iranisches Kulturzentrum e.V., Bündnis gegen das Sterben an den EU-Außengrenzen (amnesty international Mainz – Gruppe 1260, AntiFa Nierstein, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Flüchtlingsrat, Stadt Mainz, GRÜNE JUGEND, Linkswärts e.V., MediNetz Mainz e.V., Heinrich-Böll-Stiftung Rheinland-Pfalz, Netzwerk für Demokratie und Courage e.V.)

Flyer zum Download (pdf): Flyer Masserrat [54 KB]

Publiziert als Heft 8 in der Reihe „Linkswärts. Mainzer Hefte für eine linke Politik“

Kontakt: info@linkswaerts.de oder 0179 117 89 87

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Die Aktualität des Themas in der Presse:

Rigides Grenzregime

Festung Europa: Die neuen Schengen-Außengrenzen werden mit Hilfe der EU-Agentur Frontex hermetisch abgeriegelt

von Ulla Jelpke
Journalistin und Mitglied der LINKSFRAKTION im Bundestag

Beitrag aus der „jungen Welt“ vom 29. Mai 2008, mit freundlicher Genehmigung von Ulla Jelpke

Die EU-„Grenzschutzagentur“ Frontex wirbt für sich mit dem Leitspruch „Libertas – Securitas – Justitia“, Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit. Die hehren Worte haben nicht viel mit der Realität zu tun. In der Öffentlichkeit wurde Frontex vor allem bekannt durch militärisch-polizeiliche Einsätze im ägäischen, italienischen und spanischen Mittelmeerraum sowie im Atlantik entlang der westafrikanischen Küste. Mit Schnellbooten werden Flüchtlinge innerhalb eines 200-Meilen-Bereichs zwischen dem Senegal und den Kanarischen Inseln teilweise gewaltsam von ihren Fischerbooten geholt und entgegen internationalem Recht, das solche Aktionen auf hoher See verbietet, nach Afrika „zurückgeführt“.

Da dieser Einsatzschwerpunkt an der EU-Südküste bisher im öffentlichen Fokus stand, verwundert zunächst, daß sich die Frontex-Zentrale weitab in der polnischen Hauptstadt Warschau befindet. Bei näherer Betrachtung liegt dies durchaus in der unerbittlichen Logik des Konzepts einer hermetisch abgeschirmten Festung Europa. Denn zu den Aufgaben von Frontex gehört die Hilfeleistung bei der Sicherung der neuen Schengen-Außengrenzen. Und seit dem 21.Dezember 2007 verläuft ein großer Teil dieser Grenze zwischen Polen und der Republik Belarus sowie zwischen Polen und der Ukraine. Und da macht der Standort Warschau durchaus Sinn.

Mehr Kontrollen

Frontex wirkt mit bei Operationen an der polnischen Landesgrenze (unter deutscher Beteiligung), entsendet aber auch Beobachter in das Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Moldawien, also außerhalb des EU-Raumes. Damit wird der Druck auf die betroffenen Staaten erhöht, die Kontrollen zu verstärken. Die „grüne Grenze“ zwischen Belarus und Polen ist dicht. Auch zwischen Polen und der Ukraine wurden Grenzzäune hochgezogen und Grenzstreifen eingerichtet, die mit erheblichem personellen Aufwand durch das Militär bewacht werden. Zum Einsatz kommen Wärme­bildkameras oder Leuchtsignalminen, die automatisch ausgelöst werden, wenn Menschen sie beim Überschreiten des Grenzstreifens berühren. Die Ukraine hat „Bürgervereine“ organisiert, die den Grenzbeamten helfen sollen, illegalisierte Personen zu entdecken. Sogar Schüler werden als „junge Freunde des Grenzschutzes“ instrumentalisiert.

Dabei hört man in der Ukraine durchaus kritische Bemerkungen wie: „Unser Problem ist nicht die illegale Ausreise, sondern allenfalls die illegale Einreise.“ Das heißt im Klartext: Den Aufwand, mit Kosten in Milliardenhöhe die Grenzen zu sichern, betreibt die Ukraine hauptsächlich im Interesse der EU, weil man sich ihr gegenüber eine Beitrittsperspektive erhalten will und daher die EU-Abschottungspolitik mitträgt.

Das eigene Interesse wäre eigentlich genau gegenteilig: Die Menschen in der westlichen Ukraine werden durch die Mitgliedschaft Polens im Schengener Raum in ihrer Reisefreiheit massiv eingeschränkt. Der Kleinhandel im Grenzbereich in der Region zwischen dem ukrainischen Lwiw (früher Lwow/Lemberg) und dem polnischen Przemysl ist praktisch zum Erliegen gekommen. Ein Abkommen über den „kleinen Grenzverkehr“ ist von der EU-Kommission als europarechtswidrig beanstandet worden. Mit Straßenblockaden haben daher die Menschen in der Westukraine dagegen protestiert, daß sie durch das Schengen-Regime von einem Tag auf den anderen von Besuchen in ihrem Nachbarland ausgeschlossen sind. Visa zu beantragen ist aufwendig und teuer.

Langes Warten

Auch die Polen in der Grenzregion fühlen sich benachteiligt. Viele haben Verwandte, die als Angehörige der polnischen Minderheit in der Ukraine leben. Selbst diese ukrainischen Staatsangehörigen brauchen nunmehr ein Visum für einen Besuch in Polen. In umgekehrter Richtung besteht Visafreiheit. Daher konnten die Polen bisher mühelos zu günstigen Einkäufen von Sprit, Zigaretten und Alkohol in die Ukraine fahren. Damit ist es vorbei, denn wegen der strengen Grenzkontrollen sind Wartezeiten von bis zu sechs Stunden für Pkw-Reisende an den Übergängen Korczowa und Medyka keine Seltenheit. Denn unter den gestrengen Augen der EU wollen sich weder die polnischen Grenzpolizisten noch das ukrainische Militär Laschheiten bei der Grenzsicherung nachsagen lassen.

Damit hat sich im letzten halben Jahr wieder einmal die bei früheren Verschiebungen der Schengen-Außengrenzen gewonnene Erfahrung bestätigt, dass das System zwar Reiseerleichterungen im Inneren bringt, zugleich aber eine Mauer nach außen aufgerichtet wird. Gewachsene Strukturen vor Ort werden zerstört. Statt Nachbarschaft gibt es Ausgrenzung. Aber dies alles hat natürlich auch schwerwiegende Folgen über den betroffenen Grenzraum hinaus. Menschen, die in ihrer Not in Europa Hilfe suchen wollen, wird dies verwehrt. Flüchtlinge und Migranten haben nahezu keine Chance mehr auf eine bessere Zukunft in der EU.