Flyer von Linkswärts zum Tag der Arbeit 2016:
Parlamentarischer Arm der Arbeiter(innen)bewegung – quo vadis?
Alle Linkswärts-Aktivist(innen) sind zugleich Mitglied bei einer der unter dem Dach des DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften, und deshalb ergreifen wir an diesem 1. Mai die Gelegenheit, unsere Sorgen über die Entwicklung des parlamentarischen Arms der Arbeiter(innen)Bewe-gung zum Ausdruck zu bringen. Denn der 1. Mai ist der internationale Kampftag unserer Arbeiter(innen)Bewegung, und der parlamentarische Arm der Arbeiter(innen)Bewegung ist der legislativ wirksame Hebel ihrer Gewerkschaftsorganisation(en) – soweit die Theorie.
Ohne die Arbeitskraft, die Kompetenz und die Kreativität der Arbeitnehmer(innen) wären die Arbeitgeber(innen) gar nichts. Aber die zunächst einmal sinnstiftende Arbeit kann auch krank machen, entfremdend oder gar gefährlich sein und jedes Streben nach persönlicher Entfaltung zunichtemachen. Um also ihre Rechte im Klassengegensatz zu verteidigen haben die Arbeitnehmer(innen) sich in Gewerkschaften organisiert, aus deren Bewegung auch politische Parteien entstanden sind, und an erster Stelle ist hier die vor 150 Jahren begründete Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu nennen.
Die SPD erlebt seit Jahren in regionalen wie überregionalen Wahlen eine Schlappe nach der anderen. Die große Volkspartei, die in ihren besten Jahren (1969-1980) mehr als 40 % der Stimmen erhalten hatte, vertrat 2009 unter dem Vorsitz von Sigmar Gabriel nur noch ca. ein Viertel der Wahlbevölkerung. Trotzdem wurde Gabriel im Dezember 2015 in seinem Amt als Vorsitzender der SPD bestätigt – mit dem Resultat, dass die SPD in aktuellen Umfragen nur noch von einem Fünftel der Wahlbevölkerung Zuspruch erhält! Warum halten SPD-Kader nach wie vor an ihm fest?
Erschütternd ist sein wirtschaftlicher Unverstand. Die Industrie bekommt von ihm – offenbar als Belohnung für ihre Untätigkeit bei der Konversion weg von fossiler Mobilität – Milliardengeschenke (wie die Abwrack-Prämie) – und die Arbeitnehmer(innen) müssen (Kurzarbeit! Massenarbeitslosigkeit!) noch dafür bezahlen. Selbst die mit da hineinspielende Finanzkrise der Eurozone wurde von einem SPD-Finanzminister (Peer Steinbrück) zwecks Vermögensrettung von „(Ultra) High Net Worth Individuals“, also der Superreichen, durch Liberalisierung der Finanzmärkte initialisiert. Die neue, nachgeladene EZB-Bazooka tut ein Übriges – und jetzt steht zur aktiven Ausweitung dieser Vermögen auch noch eine Bundesgesellschaft für das Fernstraßennetz (Fernstraßengesellschaft) ins Haus, für die führende SPD-Fachpolitiker lediglich „klare Grenzen für private Geldgeber“ anmahnen – aber keineswegs die Verhinderung dieser Massenprivatisierungsmaschine im Interesse ihrer (vermeintlichen) Arbeitnehmer(innen)-Klientel verlangen!
Sigmar Gabriel ist Mitglied des Seeheimer Kreises, dem konservativen Flügel der SPD, den manche als rechtes Bollwerk innerhalb der SPD bezeichnen. Die neoliberalen Positionen des Seeheimer Kreises stehen im Widerspruch zu allem, was sozialdemokratische Politik kennzeichnet. Umso erstaunlicher ist sein Einfluss innerhalb der SPD. Er ist federführend in der Organisation des Niedriglohnsektors und des Präkariats in Deutschland. Hartz IV wurde in der Regierungszeit Gerhard Schröders etabliert. Das Motto „Fördern und Fordern“ ist nur als „Quälen und Ködern“ zu verstehen. Da Sozialpolitik nur noch nach Kassenlage gemacht wird, haben die Jobcenter schnell bemerkt, dass sie mit dem Quälen wesentlich billiger davonkommen als mit dem Ködern: Mit fadenscheinigsten Begründungen werden die sozialen Leistungen immer mehr gekürzt.
Sigmar Gabriel ist auch Befürworter des TTIP, dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Dies widerspricht zwar einem Positionspapier der SPD, aber für den Seeheimer Kreis ist der Wohlstand von der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft abhängig: Man muss einfach mehr verkaufen als seine Konkurrenten, d. h. die Arbeitslosigkeit exportieren, und die USA bietet neue Absatzmöglichkeiten. Die negativen Konsequenzen im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft haben die Arbeitnehmer zu tragen. Die mit Hilfe der Gewerkschaften erreichten Lohnerhöhungen gehen zu Lasten von Arbeitszeitverlängerung und letztlich wird der Erhalt von Arbeitsplätzen Lohnkürzungen zur Folge haben. In der Daseinsvorsorge, insbesondere im Gesundheitswesen, droht eine neue Privatisierungswelle mit ihren Begleiterscheinungen: Massenentlassungen, Erhöhung des Leistungsdrucks für das Pflegepersonal, Verteuerung der Leistungen für die Empfänger usw., die mit dem TTIP erwartet werden.
Die Idee einer SPD war nie, die politische Karriere ihrer Parteifunktionäre zu fördern, sondern die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Die SPD befindet sich gegenwärtig in einer Sackgasse und hat sich mit der Ausrichtung der Partei seit den 90er-Jahren weit von einer Arbeitnehmervertretung entfernt. Die SPD entfernt sich von ihren Zielen der sozialen Gerechtigkeit und der Emanzipation der Arbeitnehmer.
Gewerkschafter, insbesondere diejenigen, die zugleich Mitglieder der SPD sind, sollten sich Gedanken darüber machen, wie die Basis, sowohl in der Gewerkschaft als auch und in den Parteien wie der SPD, wieder die Politik zum Vorteil der Arbeiter(innen)Bewegung bestimmen kann. Vermisst wurde zuletzt die ernsthaft vorgebrachte Forderung nach einer 30-Stunden-Woche mit vollem Zeit- und Personalausgleich – statt einer halbherzig eingebrachten und nach nur einem Tag wieder zurückgezogenen 32-Stunden-Woche für Eltern unter Subventionierung der Betriebe, in denen die Eltern arbeiten, durch eine von den Steuerzahler(innen) aufzubringende Lohnersatzleistung. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist noch lange nicht umgesetzt, und wir brauchen aktuell keine Sonderwege wegen Asylpolitik und Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge.
Wer die Arbeitnehmer(innen)bewegung unterstützen will, mag die SPD unterstützen. Aber das funktioniert nur sozialdemokratisch!
Flyer zum Download als pdf-Datei: Tag der Arbeit 2016